Wirkungen der Selektion (WiSel III)

Hintergrund

In der Schweiz gibt es einen breiten politischen Konsens, dass 95% einer Kohorte mindestens einen Abschluss auf dem Niveau der Sekundarstufe II erlangen sollen (EDK Richtlinie, 2006). Die Erfolgsquote liegt aktuell bei rund 90%, wobei es zwischen den Kantonen und verschiedenen Gruppen von Jugendlichen grosse Unterschiede gibt (Bildungsbericht Schweiz, 2018). In der Schweiz erreichen rund zwei Drittel der Jugendlichen den Sekundarstufe II-Abschluss über den beruflichen Weg. Die Strategie Berufsbildung 2030 zielt auf eine Stärkung der Berufsbildung in der Schweiz (SBFI, 2018), was angesichts der starken Akademisierungstendenzen in (ehemals) klassischen „Berufsbildungsländern“ wie Deutschland und Österreich eine wichtige Initiative darstellt. Mit der Strategie soll u.a. die Frage der Steuerung von Bildungsverläufen von der Volksschule bis in die Erwerbstätigkeit bzw. Weiterbildung vertieft bearbeitet werden.

​Heute existieren in der Schweiz und im Ausland mehrere Längsschnittstudien zum Übergang von der Schule in die Erwerbstätigkeit. Es gibt aber aktuell keine schulbasierten Längsschnittstudien, welche Bildungsverläufe von der Primarstufe in die duale berufliche Bildung und in die tertiäre Bildung bzw. Erwerbstätigkeit untersuchen. Die Studie «Wirkungen der Selektion» (WiSel III) setzt die früheren Transitionsstudien zum Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe I und II (WiSel I und WiSel II) fort, so dass Bildungsverläufe von der Primarstufe bis fünf Jahre nach Austritt aus der Sekundarstufe I quantitativ analysiert werden können. Mit der dieser Studie entsteht zudem die einmalige Gelegenheit, den Übergang von der beruflichen Grundbildung in die nachfolgende Tätigkeit aufgrund von leistungsrelevanten Überzeugungen und Leistungen in Mathematik und Deutsch in der Primarstufe und Berufsfindungsprozessen in der Sekundarstufe I im Zusammenspiel mit Dimensionen der Ausbildungsqualität und Lernüberzeugungen während der beruflichen Grundbildung vorherzusagen.

​Die theoretischen Grundlagen der Studie liefert das Erwartungs-Wert-Modell von Eccles und Wigfield (2002), das im Rahmen des Projekts WiSel II mit der sozio-kognitiven Laufbahntheorie von Lent, Brown und Hackett (1994) ergänzt worden ist. Beide Ansätze wurden in zahlreichen Studien überprüft und haben sich im Hinblick auf viele Aspekte bewährt. Sie lassen sich zudem an die bildungssystemischen Bedingungen in der Schweiz und gerade auch auf die Situation der beruflichen Grundbildung anpassen und werden im Projekt als Rahmenmodelle der Bildungsverläufe in der beruflichen Grundbildung und beim Übergang nach der Sekundarstufe II verwendet.

​In der diachronen Perspektive wissen wir insbesondere wenig darüber, wie die Berufsfindung in Interaktion mit der Ausbildungsqualität im gewählten Beruf die Lernerfahrungen an den Lernorten in der beruflichen Grundbildung (Betrieb, Berufsfachschule, überbetrieblicher Kurs) beeinflusst und wie diese den Ausbildungserfolg am Ende der beruflichen Grundbildung beeinflussen. Insbesondere interessieren die Gelingensbedingungen der Berufsmaturität, die während oder nach der beruflichen Grundbildung erreicht wird. Das vorliegende Projekt soll diese Forschungslücken schliessen.

Ziele

Das WiSel-Projekt basiert auf dem Erwartungs-Wert-Modell von Eccles und Wigfield (2002), das mit der sozio-kognitiven Laufbahntheorie von Lent, Brown und Hackett (1994) ergänzt worden ist. Es wird davon ausgegangen, dass individuelle Faktoren, institutionelle Strukturen sowie die soziale Unterstützung durch Bezugspersonen die Bildungslaufbahn beeinflussen. Ausgehend von einem aus diesen Überlegungen entstandenen Arbeitsmodell (siehe Abbildung 1) sollen folgende Forschungsfragen bearbeitet werden:

(1) Wie beeinflussen Personenmerkmale des Kindes und Überzeugungen und Verhaltensweisen von Eltern und Lehrpersonen in Primarschule und Sekundarstufe I den Abschluss der beruflichen Grundbildung, die subjektive Bewertung der Erwerbssituation und die Laufbahnpläne nach Abschluss der beruflichen Grundbildung?

​(2) Wie erklären Berufsfindungsprozesse und Erfahrungen im Ausbildungsbetrieb die Bedeutung von Personenmerkmalen des Kindes und von Überzeugungen und Verhaltensweisen von Eltern und Lehrpersonen in der Primarstufe und Sekundarstufe I bezüglich des Abschlusses der beruflichen Grundbildung, die subjektive Bewertung der Erwerbssituation und die Laufbahnpläne nach Abschluss der beruflichen Grundbildung?

Methoden

Die Studie begann 2011 mit einer Befragung von 1'735 Jugendlichen im 5. Schuljahr in vier Schweizer Kantonen (Aargau, Basel-Landschaft, Bern, Luzern). Es folgten weitere Befragungen im 6., 7. und 9. Schuljahr sowie im ersten Jahr nach Austritt aus der obligatorischen Schule. Dabei wurden mittels Fragebogen und Leistungstests sowohl bildungsbezogene Einstellungen als auch Leistungen und Karriereabsichten erhoben und neben den Jugendlichen jeweils auch Eltern, Lehrpersonen und Ausbildungsverantwortliche befragt. Die sechste Erhebung findet im Herbst 2021 statt. Durch die regelmässige Befragung der Teilnehmenden sollen Bildungsverläufe nachvollzogen und die oben beschriebenen Forschungsfragen beantwortet werden können.

Die Fragestellungen werdend durch Regressionsanalysen und Strukturgleichungsmodelle statistisch überprüft. Angesichts der zahlreichen Messzeitpunkte ist die Berechnung latenter Wachstumsmodelle geplant, welche die Analyse von Verläufen über mehrere Jahre ermöglichen.

Finanzierung

Das Projekt WiSel III wird von 2020-2024 durchgeführt und wird vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) finanziert.