Forschungsprojekte

Aktuelle Forschungsprojekte des Lehrstuhles von Herrn Prof. Dr. Thomas Deißinger

Biografische Analysen zur Wertschätzung beruflicher Bildung

Duale Berufsausbildung nach Studienabbruch

Hintergrund

Studienabbrecher gelten als attraktive Gruppe zur Rekrutierung von Auszubildenden, d. h. zukünftigen Fachkräften. Die Bachelorstudienabbruchquote liegt in Deutschland bei zuletzt relativ konstanten knapp 30 %. Trotz zahlreicher Bemühungen um die Qualitätssicherung von Studiengängen ist sie nicht gesunken. Während Forschungsprojekte, die sich mit Studienabbruch beschäftigen, oftmals dazu dienen, den Studienerfolg zu sichern, bleibt die Frage danach, ob eventuell für einige Studienabbrecher bzw. Studierende mit Zweifeln eine Berufsausbildung der bessere Weg wäre, forschungsseitig relativ unbeachtet. Aufgrund der fortschreitenden Akademisierung ist insbesondere die biografische Verarbeitung von Studienabbrüchen mit anschließendem Weg in eine Berufsausbildung interessant und relevant.
Das Thema kann als Kristallisationspunkt verschiedener übergeordneter Kontexte angesehen werden: meritokratisches Leistungsprinzip als Katalysator der Akademisierung (auch im Gegensatz zum Qualifikationsprinzip und zum Konzept der Beruflichkeit), (EU‐)bildungspolitische Aspekte, Fragen der Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems, der Praxisorientierung von Studiengängen, der Wertigkeit beruflicher gegenüber akademischer Bildung, der Studien‐/Berufsorientierung bzw. der Berufswahl und der Rekrutierung von Auszubildenden. Eine Beantwortung birgt individuelle und gesellschaftliche Implikationen, z. B. was die (Berufs‐)Bildungspolitik, die Personalpolitik von Unternehmen sowie die Studien‐ und Berufsberatung angeht.
Eine Erforschung dieser Gruppe mit klarem Bezug zu oben genannten kontextuellen Anknüpfungspunkten, ist nicht nur von interdisziplinärem Interesse (bspw. für Psychologie, Bildungsökonomie oder Soziologie), sondern auch von spezieller Relevanz für die berufs‐ und wirtschaftspädagogische Berufsbildungsforschung. Die vermehrt auftretenden Diskontinuitäten in Bildungs‐ und Erwerbsverläufen hängen nicht nur mit den vielzitierten „Transformationen“, sondern auch mit individuellen Haltungen, Orientierungen, Wertmaßstäben und Entscheidungsprozessen zusammen.

Ziel

Ziel ist es, die beschriebenen biografischen Diskontinuitäten zu untersuchen und gemeinsame sowie widersprüchliche biografische Muster im Verhältnis zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen aufzudecken. Dies resultiert in Überlegungen, die den Erziehungsauftrag der Schule, die Ausgestaltung des Bildungssystems sowie Unterstützungs‐ und Beratungsangebote für junge Menschen betreffen. Dabei soll auch eine international vergleichende Perspektive eingenommen werden.

Methode

Narrative Interviews, Erprobung KI-gestützter Auswertung

Projektleitung

Dr. Vera Braun

Erasmus+ project PAGOSTE 2020-2023

The Erasmus+ project deals with governance in vocational teacher education (VTE) in Ukraine. The professionalization of teachers working in the field of vocational education and training (VET) is considered to be more complex than in the general education system as here the relevance of teachers’ competences not only has an impact on learners (vocational students), but also on the quality of VET as such and its functionality for the employment sector. An overarching quality criterion is to ensure that expectations of vocational schools and the motivations and competences of future teachers can be aligned.

This ‘matching problem’ is materialized by the ‘theory-practice gap’ as the ‘users’ of VTE qualifications, being the employers of future teachers, are normally not involved in setting up or at least influencing how teachers are trained and how whatever they learn at university can be linked with and applied to in the classroom. This one-sided institutional reality explains why teachers do not feel well prepared for their future occupational destination.

PBG (partnership-based governance) is seen as an instrument to tackle this problem by including VET schools in activities such as curricula development or teaching methodology, and it even could mean establishing a governance system based on partnerships reaching beyond these two stakeholders. Since decentralisation is a major aspect of current Ukrainian VET policy, PGB in VTE fits into the political agenda, by questioning traditional roles of responsible institutions.

The project aims at developing and piloting governance structures between the Ukrainian partner HEIs and regional VET schools. The focus is on overcoming the theory-practice gap between university education and teaching requirement in VET, and on setting up governance in a new, i.e. partnership-based manner between relevant institutions in VTE.

The project aims at creating awareness for a modern VTE system in Ukraine, and at raising the status of the teaching profession.

For more detailed information please visit the project homepage.

Abgeschlossene Forschungsprojekte des Lehrstuhles von Herrn Prof. Dr. Thomas Deißinger

Erasmus+ project „Improving teacher education for applied learning in the field of vocational education and training (ITE-VET)“ 2016 - 2018

Improving teacher education for applied learning in the field of VET (ITE-VET)

In the field of vocational education and training (VET) quality has become one of the most relevant issues. Besides regulation patterns, curricula that fit the demand by labour markets and reliable and efficient organisations for the delivery of VET, one crucial "input variable" is the professionalisation of teachers working in the field of VET. For the quality of teacher training the mode in which teachers are trained has become more and more complex since teachers need to be experts in their vocational field, pedagogical and didactical experts who know how to teach effectively and they also need to know what young people to be trained expect when they start their career.

The project ITE-VET addresses these issues and wants to contribute to establishing a profound didactical understanding and underpinning of VET teacher programmes in the Ukrainian universities taking part in the project. Didactical and organisational inputs come from three EU countries with strong experience in VET teacher education. The project aims at newly created or revised curricula for VET teacher courses taking account of modern didactics, the importance of pedagogy in general, and also internship regulations that ensure that future teachers also can gain practical experience in schools and companies before they start their career. Hereby, the involvement and commitment of vocational schools, colleges and companies will be a crucial objective of the project.

It is intended that the project can contribute to raise awareness of securing a modern VET teacher education system in Ukraine, that it will underline the general social and economic importance of this professional group and that it will contribute to raising the status of teachers in the Ukrainian society in general. Besides, long-term impacts can be seen in a more functional and quality-minded approach to VET delivery in schools and companies.

Project Flyer

Project Brochure (including results)

TEMPUS-Projekt mit dem Titel “Berufliche und unternehmerische Selbständigkeit durch Entrepreneurship-Erziehung und Gründungsberatung“ (BUSEEG-RU-UA) 2013 - 2016

Der Lehrstuhl Wirtschaftspädagogik I war von 2013 - 2016 Projektpartner in einem europäischen TEMPUS-Projekt mit dem Titel “Berufliche und unternehmerische Selbständigkeit durch Entrepreneurship-Erziehung und Gründungsberatung“ (BUSEEG-RU-UA)

  •  EU-Partner: Wirtschaftsuniversität Wien, Universität Konstanz, Universität Györ (Ungarn)
  • Osteuropäische Partner: Hochschulen und staatliche Einrichtungen aus Russland und der Ukraine (siehe Liste)


Projektzeitraum: 12/2013 bis 12/2016


Globales Ziel des Projekts:
Entwicklung und Umsetzung eines Lifelong Learning Konzeptes zur nachhaltigen Förderung der beruflichen und unternehmerischen Selbstständigkeit durch

  • Entrepreneurship-Erziehung (EE) und
  • Gründungsberatung auf
  • universitärer und
  • Berufsschulebene

in Kooperation mit den Lehrerfortbildungszentren, den regionalen Industrie- und Handelskammern und den Bildungsministerien.


Spezifische Projektziele:
1. Entrepreneurship-Erziehung an den Universitäten:
Weiterentwicklung der bestehenden Angebote zur Entrepreneurship-Erziehung (im folgenden EE) für wirtschaftswissenschaftliche Studienrichtungen sowie Entwicklung von Modulen zur EE für nichtwirtschaftswissenschaftliche Studienrichtungen im Umfang von jeweils mindestens 20 ECTS


2. Entrepreneurship-Erziehung an den Berufsschulschulen
Weiterentwicklung der EE in wirtschaftsberuflichen Schulen sowie Entwicklung und Umsetzung eines Lehrplans zur EE in gewerblichen, technischen und touristischen Berufsschulen im Ausmaß von mindestens 6 Semesterwochenstunden


3. Gründungsberatung für Absolvent/innen der Universitäten
Einrichtung bzw. Weiterentwicklung von Gründungsberatungszentren an den Universitäten in Kooperation mit den regionalen Industrieund Handelskammern


4. Gründungsberatung für Absolvent/innen der Berufsschulen
Einrichtung bzw. Weiterentwicklung von Gründungsberatungszentren an Berufsschulen in Kooperation mit den regionalen Industrie- und Handelskammern


5. Weiterbildung der Berufsschullehrer/innen
Fachliche und fachdidaktische Weiterbildung der Berufsschullehrer/innen zur EE und zum kompetenzorientierten Unterricht


6. Weiterbildung der Hochschullehrer/innen
Wirtschaftsdidaktische Weiterbildung der Hochschullehrer/innen und Dozent/innen der Lehrerfortbildungszentren

Lernwegoffenheit in Frankreich

Outcome-/Kompetenzorientierung gilt als neues Paradigma in der Berufsbildung, das durch die Europäisierung der Berufsbildung – insbesondere durch die Implementierung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) – zunehmend forciert wird. Während sich Deutschland mit diesem Paradigma offenbar schwer tut, erfuhr der „klassische“ Lernweg in der französischen Berufsausbildung (vollzeitschulische, staatlich gesteuerte Berufsausbildung) bereits seit Mitte der 1980er Jahre durch verschiedene Reformen im Sinne dieses Paradigmas eine Relativierung.

In Frankreich orientiert sich die Qualifizierung inzwischen an lernwegneutral definierten Kompetenz- bzw. Outcome-Vorgaben, die für alle Ausbildungsabschlüsse entwickelt wurden. Damit wurde hier (zumindest formal) der Wechsel von einer input- zu einer outcome-orientierten Steuerungskultur vollzogen und mit der Einführung der VAE im Jahr 2002 zugleich auch eine zentrale Chance der Outcome-Orientierung genutzt – nämlich die Berücksichtigung informell erworbener Kompetenzen im Rahmen des staatlichen Berechtigungswesens. Theoretisch sind damit in Frankreich heute alle staatlich anerkannten Abschlüsse auf verschiedenen Lernwegen erreichbar: Durch eine vollzeitschulische Ausbildung, durch eine Apprentissage (d.h. eine alternierende/„duale“ Ausbildung), durch Weiterbildung und durch die Anrechnung von informell bzw. non-formal erworbenen Kompetenzen. Über die faktischen Implikationen dieser Neuausrichtung des Systems ist bislang jedoch nur wenig bekannt.

Das zwischenzeitlich abgeschlossene Forschungsprojekt beschäftigte sich im Wesentlichen mit folgenden Forschungsfragen:

  1. Wie ist die Resonanz der im französischen Berufsbildungssystem betroffenen Akteure auf die Koexistenz von Lernwegen auf Basis von Learning Outcomes?
  2. Wie wurde der lernwegoffene Ansatz praktisch implementiert?
  3. Inwiefern werden die verschiedenen Lernwege auch faktisch als funktionale Äquivalente betrachtet, angeboten und genutzt?

Mit Hilfe von Experteninterviews im Raum Toulouse und im Raum Straßburg wurden am Beispiel der Ausbildungsabschlüsse „Bac Pro Secrétariat“ (Sekretariat), „Bac Pro Commerce“ (Handel) und „Bac Pro Comptabilité“ (Buchhaltung) Erkenntnisse darüber gewonnen, ob bzw. inwiefern der Paradigmenwechsel von einer input- zu einer outcome-orientierten Steuerung zu mehr Flexibilität in der französischen Berufsbildung geführt hat.

Publikationen:

Ott, M. (2013). Zur Omnipräsenz von Outcome-Orientierung. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Band 109, Nr. 1, S. 18-45.

Ott, M./Deißinger, Th. (2010). Frankreichs Berufsbildung im Spiegel der europäischen Berufsbildungspolitik: Eine komparative Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Anpassungsproblemen und Anpassungsnotwendigkeiten, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Band 106, Nr. 4, S. 491-516.

Ott, M. (2008). Frankreichs Berufsbildung im Zeichen des Europäischen Qualifikationsrahmens. Eine kritische Analyse zu den aktuellen Struktur- und Entwicklungsfragen eines schulbasierten Berufsbildungssystems, (Diplomarbeit) Universität Konstanz.

Freie Schulwahl im dualen System - Chancen und Risiken

In Nordrhein-Westfalen wurden zum 01.08.2008 die Berufsschulbezirke per Gesetz aufgehoben. Damit wurde eines der grundlegenden Charakteristika der deutschen dualen Berufsausbildung – die duale Lernortstruktur – neu organisiert: Anstelle der bislang staatlich regulierten Zuordnung einer Berufsschule zu einem Ausbildungsbetrieb darf ein Betrieb seinen dualen Partner nun frei wählen. Mit der Intention eines aus der freien Berufsschulwahl resultierenden qualitätsfördernden Wettbewerbs zwischen Schulen setzt das Land NRW als bundesweiter Vorreiter damit auf die Steuerungsmechanismen des Marktes.
Im Rahmen einer empirischen Untersuchung in NRW sollen die Reaktionen der beiden Partner im dualen System – der Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe – auf die Abschaffung der Berufsschulbezirke analysiert und den mit der Schulgesetzänderung einhergehenden möglichen Chancen und Risiken aus der Perspektive beider Lernorte nachgegangen werden. Das grundlegende Forschungsziel richtet sich dabei auf die wirtschaftspädagogisch sowie bildungsökonomisch relevante Frage, inwiefern sich die auf eine marktlich-dezentrale Steuerung abzielende Politik der freien Schulwahl, wie sie im Kontext des dualen Systems in NRW bundesweit erstmalig praktiziert wird, in einer als „staatlich gesteuertes Marktmodell“ (Greinert 1988: 149) historisch gewachsenen dualen Berufsausbildung etablieren kann.

Die empirische Untersuchung gliedert sich in zwei aufeinanderfolgende Forschungsphasen: eine explorative (hypothesengenerierende) und eine explanative (hypothesenprüfende) Analyse. Die explorative Analyse erfolgte in zwei Schritten: In einem ersten Schritt wurde eine systematische Untersuchung der zur Schulwahlreform vorliegenden Landtagsdokumen­te vorgenommen. Die Dokumentenanalyse wurde in einem zweiten Schritt durch einen primäranalytischen Feldzugang – eine Interviewbefragung von Experten auf der administrati­ven Steuerungsebene des dualen Systems – ergänzt. In der zweiten, explanativen For­schungsphase wurden die explorierten Sachverhalte mittels einer standardisierten schriftli­chen Befragung von Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben statistisch geprüft. Das Unter­suchungsdesign ist triangulativ angelegt: Es werden sowohl zwei Systemebenen (die poli­tisch-administrative Steuerungsebene und die Ausbildungsebene) als auch zwei methodi­sche Zugänge (qualitative und quantitative Verfahren) einbezogen.

Projektleitung: Dr. Kathrin Breuing (geb. Huber)

Projekt-Team: Robin Heine, Katrin Bitterle, Franziska Wieland, Andreas Jüttler

Finanzierung: Ausschuss für Forschungsfragen (AFF) der Universität Konstanz 

Faltblatt zum Projekt

Publikationen

Breuing, K. (2014): Das Sprengelprinzip im dualen System  ordnungspolitisches Relikt oder notwendiges Steuerungsinstrument? In: bwp@ Berufs- und Wirt­schafts­pädagogik – online, Ausgabe 25, S. 1-19.
zum Text

Breuing, K. (2014): Schulwahl und Schulwettbewerb im dualen System. Zur Aufhebung der Berufsschulbezirke in Nordrhein-Westfalen. Dissertation, 2013, Universität Konstanz. Wiesbaden: Springer VS.
zum Text

Huber, K. (2011): Pro und Contra zur Aufhebung der Berufsschulbezirke in Nordrhein-Westfalen. Bilanz einer Dokumenten- und Interviewanalyse. In: Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik 51, S. 3-30.

Huber, K. (2011): Berufsschulwettbewerb und staatliche Regulierungsmechanismen: Ergebnisse einer Expertenbefragung in Nordrhein-Westfalen. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 107 (4), S. 568-589.

Huber, K. (2010): User choice: Who’s the user? Who’s the chooser? The principle of choice in the German and Australian vocational education and training context – a comparative analysis. In: International Journal of Training Research 8 (1), pp. 80-96.

Huber, K. (2009): Freie Schulwahl im dualen System: Chancen und Risiken. In: Wuttke, E. et al. (Hrsg.): Erträge und Perspektiven berufs- und wirtschaftspädagogischer Forschung. Opladen/Farmington Hills, S. 89-100.

Leonardo-Projekt “Support of Persons in the Process of the Accreditation of Non-formal Learning” 2009

Projektgeber: Europäische Union

Projektpartner:

  • Deißinger, Thomas, Prof. Dr., Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik, Universität Konstanz
  • Nikolov, Roumen, Prof. Dr., Department of Information Technologies, University of Sofia
  • Heikkinen, Anja, Prof. Dr., Department of Education, University of Jyväskylä
  • Horváth, Attila, Dr., Horváth and Dubecz Consulting Ltd., Budapest
  • Figueira, Eduardo, Prof. Dr., Academus Consultadoria L.da., Lissabon
  • Canning, Roy, Dr., Institute of Education, University of Stirling

Projektdauer: Oktober 2004 – Oktober 2006

Die Evaluation und Validierung berufsrelevanter Kompetenzen stellen ein sowohl wissenschaftliches als auch für die Praxis relevantes Problem dar. Besondere Aufmerksamkeit genießt in diesem Kontext seit geraumer Zeit die Erfassung und Zertifizierung non-formell erworbener Kompetenzen (non-formelle Kompetenzen sollen hier in Anlehnung an Straka 2003 die informellen Kompetenzen subsumieren). Im Zusammenhang mit der besonderen Priorität dieser Fragestellung auf Ebene der EU wurde im Memorandum über das Lebenslange Lernen (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2000) die besondere Notwendigkeit der Untersuchung und des Vergleichs von Verfahren zur Erfassung von non-formell erworbenen Kompetenzen ausführlich diskutiert. Zentraler und bisher wenig beachteter Ausgangspunkt für das hier vorgestellte Projekt ist die Frage, wie jene Personen, die sich non-formell erworbene Kompetenzen akkreditieren lassen möchten, in ein Unterstützungskonzept für weitergehende Lernprozesse eingebettet werden und wie die Interaktion zwischen dem Zertifizierungsvorgang und einem eventuell notwendigen weiteren Lernprozess konstruiert sowie praktisch umgesetzt wird. Konkret ist zu fragen, wie insbesondere niedrigqualifizierte Personen unterstützt werden können, deren Kompetenz für eine Zertifizierung nach den vorgegebenen Standards des formalen Bildungssystems (noch) nicht ausreicht oder deren dokumentierte Kompetenzen (z.B. über ein Bildungsportfolio) am Arbeitsmarkt als nicht ausreichend eingestuft werden.

Für die Forschung stellt sich in diesem Zusammenhang eine grundlegende, allerdings bisher wenig beachtete Frage, welche drei für das Projekt zentrale Dimensionen aufweist. So muss an erster Stelle die Ausformung der landestypischen Struktur des (Weiter-)Bildungssystems sowie des Erfassungs- und Zertifizierungssystems für non-formelle Kompetenzen identifiziert werden. Hierbei gilt es, die entsprechenden Instrumente und Institutionen, die ein „Weiterlernen“ im Sinne des lebensbegleitenden Lernens ermöglichen, zu erfassen. Zweitens sind die Lernarrangements zu untersuchen, die ein „Weiter- und Ergänzungslernen“ ermöglichen. Drittens ist bei dieser besonderen Problematik die Struktur und Konzeption einer begleitenden professionellen Beratung von entscheidender Bedeutung.

Letztlich stellt sich die Frage der Anbindung non-formell erworbener Kompetenzen - über Unterstützungskonzepte für eine besondere Zielgruppe (Niedrigqualifizierte) - an entsprechende formalisierte Strukturen, die Instrumente der Erfassung und Zertifizierung dieser Kompetenzen beinhalten. Im Fokus stehen dabei nicht nur spezielle Beratungsangebote und Bildungsanbieter, sondern auch die arbeitgebenden Unternehmungen und hier insbesondere kleinere Betriebe, die europaweit noch immer den Großteil an Arbeitsplätzen stellen.

Methodologisch wird in dem Projekt Rückgriff auf Verfahren der komparativen Forschung genommen. Dabei wird auf Basis eines zu entwickelnden länderübergreifenden Ausgangsmodells mit präzise definierten Vergleichskriterien gearbeitet. Über die Systemanalyse hinaus werden darauf aufbauend entsprechend der qualitativen Sozialforschung halboffene Fragestellungen entwickelt, auf deren Basis Interviews mit Betroffenen und Bildungsexperten geführt werden. Rückschlüsse, Wertungen und Empfehlungen für die Zukunft werden mit einem nationalen und supranationalen Fokus auf Basis von an dem Modell orientierten Bewertungskriterien realisiert.

Literatur:

Hellwig, Silke/Deißinger, Thomas (2007). Schlusslicht Deutschland? Beratungsansätze im Kontext des non-formalen Lernens am Beispiel des Leonardo-Projekts SPAN, in: Berufsbildung, 61. Jg., H. 105, S. 34-36.

Hellwig, Silke/Pilz, M. (2007). Befunde aus einem europäischen Vergleichsprojekt. Beratung und Begleitung im Kontext der Zertifizierung non-formellen Lernens, in: Berufsbildung, 61. Jg., H. 103/104, S. 83-86.

Hellwig, Silke/Vonken, Matthias (2006). Förderung besondere Zielgruppen im Rahmen der europäischen Weiterbildungsforschung: Zwei Leonardo-da-Vinci-Projekte, in: Gonon, Ph./Klauser, F./Nickolaus, R. (Hrsg.), Kompetenz, Qualifikation und Weiterbildung im Berufsleben, Schriftenreihe der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), Opladen (Barbara Budrich Verlag), S. 259-272.

Straka, G. A. (Hrsg.) (2003). Zertifizierung non-formell und informell erworbener Kompetenzen, Münster.

Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2000). Memorandum über Lebenslanges Lernen, Arbeitsdokument der Kommissionsstellen, Brüssel.

 Rezensionsbeleg

Offizielle Website

Go.for.europe: Auslandspraktika für Auszubildende

Auftraggeber: Baden-Württembergischer Handwerkstag e.V., Industrie- und Handelskammertag e.V. und Verband der Metall- und Elektroindustrie Südwestmetall e.V.

Projektleitung: Prof. Dr. Thomas Deißinger

Projekträger: Universität Konstanz

Projektmitarbeiter: Kathrin Huber, Roland Wern

Kurzbeschreibung des Projekts:

Die Fassung des BBiG vom 01. April 2005 erlaubt die Durchführung einzelner Abschnitte der Berufsausbildung im Ausland (BBiG vom 01.04.2005, § 2 Abs. 3 und § 76 Abs. 3). Die Dauer des Auslandsaufenthaltes soll dabei ein Viertel der festgelegten Ausbildungsdauer nicht überschreiten. Für Auszubildende ergibt sich somit die Möglichkeit, sechs bis zehneinhalb Monate je nach Ausbildungsdauer im Ausland zu absolvieren.

„Go.for.europe“ ist ein Gemeinschaftsprojekt von baden-württembergischen Kammern und Verbänden - dem Baden-Württembergischen Handwerkstag e.V., dem Industrie- und Handelskammertag e.V. und dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Südwestmetall e.V. Das Projekt unterstützt als Servicestelle die Internationalisierung der dualen Ausbildung in Baden-Württemberg. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitforschung werden Prozessabläufe und Rahmenbedingungen des Projektes analysiert und in möglichen Handlungsempfehlungen dargelegt. Dies erfolgt mittels quantitativer und qualitativer Forschungsmethoden durch eine Befragung von Unternehmen und von ins Ausland entsendeten Auszubildenden.

Offizielle Website

Mobilitätsmaßnahmen in der beruflichen Bildung

Meritokratie und berufliche Bildung am Beispiel der Ukraine

Dissertationsprojekt von Vera Braun

Kontext:

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion befindet sich die Ukraine in einer Übergangszeit. Insbesondere die wirtschaftliche Lage ist nach wie vor angespannt, vor allem wegen der spürbaren Auswirkungen der Finanzkrise, der unsicheren politischen Lage in Zusammenhang mit der Maidan-Revolution, der Krim-Annexion und der andauernden Auseinandersetzungen in der Ostukraine. Grundsätzlich verfügt die Ukraine über großes wirtschaftliches Potenzial, kann sie doch auf äußerst fruchtbare Böden, einen großen Rohstoffreichtum, vor allem Gas- und Ölvorkommen, und ihre Schwerindustrie zurückgreifen. Im Gegensatz zu rohstoffarmen Ländern ist sie weniger auf die Ressource Wissen angewiesen. Dennoch steht die Ukraine, was ihre Akademikerquote anbelangt, europaweit an der Spitze. Sie sieht sich einem erheblichen Mangel an Fachkräften sowie einem ausgeprägten Akademikerüberhang gegenüber. Es fehlen Arbeiter für Stellen, für die kein Studium notwendig wäre. Zahlreiche Menschen arbeiten in Jobs, für die sie mit ihrem Studium überqualifiziert sind bzw. in berufsfremden Jobs. Somit ist eine Stärkung der beruflichen Bildung und ihrer Attraktivität für die Ukraine von großer Relevanz.

Aktuell spielt die berufliche Bildung in der Ukraine eine untergeordnete Rolle und dient als Bildung für die Leistungsschwächsten und sozial Benachteiligte. Es wird vermutet, dass die fehlende Wertschätzung beruflicher Bildung in Zusammenhang mit einer Orientierung an der "meritokratischen" Logik steht, welche  vorhandene Systeme, Strukturen und persönlichen Werthaltungen beeinflusst.

Forschungsfragen:

Welche Funktion und Relevanz kommt der Orientierung an der meritokratischen Denkfigur mit Blick auf die Geringschätzung beruflicher Bildung in der Ukraine zu?

Teil 1:

  1. Um welche Wertlogik handelt es sich idealtypisch, wenn wir von Meritokratie sprechen?
  2. Wie hängt diese Wertlogik mit den Strukturen beruflicher Bildung zusammen?

Teil 2:

  1. Inwiefern lassen sich die damit assoziierten Merkmale und Beschreibungsdimensionen mit Blick auf die Ukraine behaupten und identifizieren?
  2. Welche Implikationen ergeben sich daraus für die berufliche Bildung in diesem Land?

Vorgehen:

Der Forschungsgegenstand wird in einem qualitiativ-explorativen Ansatz, konkret über eine Idealtypuskonstruktion, in den Blick genommen. In einem ersten Schritt wird anhand der Beispiele Japans und Frankreichs, bekannt als Gesellschaften, die explizit "meritokratisch" funktionieren und zwei unterschiedliche Kulturkreise repräsentieren, der Zusammenhang zwischen Meritokratie und beruflicher Bildung herausgearbeitet. Die Ergebnisse werden anschließend zusammengeführt, abstrahiert und "gesteigert", um den Zusammenhang idealtypisch beschreiben zu können. In einem zweiten Schritt wird der ukrainische Realtypus mithilfe einer Literatur- und Dokumentenanalyse sowie ergänzenden halbstandardisierten Gruppeninterviews mit ukrainischen Expertinnen und Experten rekonstruiert und am Idealtypus gespiegelt. Hieraus werden Rückschlüsse gezogen, die in Empfehlungen für die Entwicklung der beruflichen Bildung in der Ukraine münden.

Publikation:

Braun, V. (2022). Der Zusammenhang zwischen Meritokratie und beruflicher Bildung. Idealtypische Rekonstruktion als Deutungsrahmen für das Wertschätzungsproblem der Berufsbildung in der Ukraine, Wiesbaden (Springer Fachmedien).    Download